Theorie der Ordnungspolitik
Der Terminus „Ordnungspolitik“ wird im deutschen Sprachgebrauch für zwei unterschiedliche Dinge gebraucht. Zum einen stellt Allgemeine Ordnungspolitik auf die Grundfrage ab, welches wirtschaftliche Lenkungssystem die Einzelpläne der Wirtschaftssubjekte koordinieren soll. Ergebnis der Entscheidung kann eine Marktwirtschaft sein, jedoch genauso auch eine Zentralverwaltungswirtschaft oder ein weiteres Wirtschaftssystem
Spezielle Ordnungspolitik – um die es hier geht - bezeichnet hingegen alle staatlichen Maßnahmen, die auf die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens, also die Erhaltung, Anpassung und Verbesserung der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung gerichtet sind. Insbesondere besteht die spezielle Ordnungspolitik aus der Schaffung und Erhaltung eines funktionierenden Preissystems durch Leistungswettbewerb, der Definition von Eigentumsrechten und Haftungsregeln sowie einer konsequenten Wettbewerbspolitik. Dieser Ordnungspolitik gegenüber stehen alle interventionistischen Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen, welche den Marktprozess behindern.
Arten von Ordnungen
Eine Ordnung stellt einen ganzheitlichen Zusammenhang von Teilen oder Elementen einer organisatorischen Einheit (Organisation) oder eines umfassenden Regelwerkes (Rechtsordnung) dar. Bezüglich ihrer Entstehung kann insbesondere zwischen zwei Arten von Ordnungen unterschieden werden: Spontane Ordnungen und gesetzte Ordnungen. Spontane Ordnungen entwickeln sich im Verlauf des autonomen Handelns von Individuen (Evolution), z.B. Markt, Traditionen, Sprache. Spontane Ordnungen sind somit „Ergebnis menschlichen Handelns, aber nicht menschlicher Absicht“ (Hayek). Im Gegensatz dazu entstehen gesetzte Ordnungen durch Anordnung einer zentralen Instanz (Staat, Behörde etc.), z.B. Bürokratie. Sie können durch einen demokratischen Entscheidungsprozess (Vertrag) oder durch autonome Entscheidung eines Machthabers (Diktatur) begründet werden.

Arten von Ordnungen
Entsprechen kann man eine Wirtschaftsordnung als Summe aller Regeln, Normen oder Institutionen, die als längerfristig angelegte Rahmenbedingungen wirtschaftliche Entscheidungs- und Handlungsspielräume von Individuen oder Wirtschaftssubjekten abgrenzen definieren. Die besondere Bedeutung der Wirtschaftsordnung liegt in der Schaffung spezieller Anreize, d.h. sie bestimmt die Beziehungen zwischen den Wirtschaftssubjekten.
Eine Marktwirtschaft ist eine Wirtschaftsordnung, in der Produktion und Verteilung aller Güter und Dienstleistungen über Angebot und Nachfrage, d.h. über Marktprozesse, frei gehandelt und getauscht werden. Sie ist damit ein typisches Beispiel für eine spontane Ordnung. Wie alle anderen spontanen Ordnungen ist sie durch Komplexitätund verstreutes Wissen gekennzeichnet. Die Ergebnisse einer Marktwirtschaft können daher nicht prognostiziert werden. Lediglich Mustervorhersagen sind möglich. Wirtschaftspolitisch ist es daher sinnreich, in einer Marktwirtschaft nur den Ordnungsrahmen vorzugeben, also die Prinzipien festzulegen, innerhalb derer sich das marktwirtschaftliches System entwickeln kann.
Quellen / Literatur:
Hayek, Friedrich August von - Arten der Ordnung, in: Freiburger Studien, Tübingen 1969, S. 32-46.
Theoretische Fundierung
Ein Kernproblem der Wirtschaftspolitik ist die Frage, inwieweit der Staat direkt oder indirekt in den Wirtschaftskreislauf eingreifen kann und soll. Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage ist die Fähigkeit des Staates bzw. von Wissenschaftlern, die Wirkungszusammenhänge für die Wirtschaft, ein komplexes System aus Millionen Akteuren, zu erkennen.
Komplexität
Grundsätzlich sind alle gesellschaftlichen Probleme – somit auch Fragen der Wirtschaftspolitik – durch das Problem der Komplexität gekennzeichnet. Probleme mit einer komplexen Variablenstruktur sind nicht kalkulatorischer, sondern grundsätzlicher Art. So bezeichnet Komplexität die Eigenschaft eines Systems, die Variablenstruktur endogen zu wandeln. Es handelt sich dann um ein dynamisches System, das z.B. plötzlich und für unbegrenzte Zeit von einem Zustand zum nächsten übergehen kann.
Gekennzeichnet werden endogene Änderungen in dynamischen Systemen häufig durch „Nicht-Linearität“. Das bedeutet, dass kleine Veränderungen der Anfangsbedingungen große Effekte verursachen können. Trotz einer eindeutigen, deterministischen Beschreibung der Bewegungsgleichungen und selbst bei einer präzisen numerischen Spezifizierung der Parameter ist es nicht möglich, die Entwicklung eines Systems länger als sehr kurzfristig zu prognostizieren. Das bedeutet keinesfalls Regellosigkeit, sondern ist ein spezielles Verhalten, das innerhalb eines beschreibbaren Regelsystems zu nicht vorhersagbaren Ergebnissen führt. Deshalb wird beim Vorliegen von Nicht-Linearität auch von einem „deterministischen Chaos“ gesprochen. Nicht-Linearität ist in ökonomischen Systemen grundsätzlich immer vorhanden.
Empirische Zeitreihen ökonomischer Daten weisen nicht die Regularitäten auf, welche für die traditionellen Modelle der dynamischen Wirtschaftstheorie typisch sind. Stattdessen ist häufig ein hoher Grad an Irregularität zu beobachten (z.B. Konjunkturzyklen), so dass sich - abgesehen von groben Grundmustern - kein Ausschnitt einer bestimmten Zeitreihe wiederholt.

Als Beispiel kann eine logistische Funktion der Form xt+1 = r(xt – xt2) gewählt werden. Bei einem Wert von x = 0,4 und r = 2 verläuft diese Funktion nicht chaotisch. Wird allerdings r = 4 gewählt und dieser Wert minimal (um 0,001) variiert, ergibt sich ein chaotisches, nicht-lineares Verhalten.
Ein Modell des komplexen ökonomischen Systems muss deshalb neben einer großen Anzahl von Variablen auch deren permanenten und unvorhersagbaren Wandel sowie den Wandel ihrer Beziehungsstrukturen zulassen. Die Mehrzahl aller volkswirtschaftlichen Theorien – insbesondere neoklassischer Herkunft – sind somit von den Ergebnissen der Chaosforschung betroffen, denn ihnen liegt ein deterministisches Weltbild zugrunde. Die Indeterminiertheit zukünftiger Entwicklungen in ökonomischen Systemen erfordert aber einen notwendigen Bruch mit den traditionellen Überzeugungen, dass eindeutige Bewegungsgesetze auch zu eindeutigen Ergebnissen führen müssten. Der empirische Nachweis chaotischer Bewegung in ökonomischen Zeitreihen macht zudem deutlich, dass die bestehenden meist linear angelegten Modelle keine zufrieden stellende Beschreibung der Wirklichkeit gestatten.
Quellen / Literatur:
Gäfgen, G. - Komplexität und wirtschaftspolitisches Handeln: Anmerkungen zur Krise der theoretischen Wirtschaftspolitik, in: Rolf Kappel (Hrsg.): Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Technik und Politik - Festschrift für Bruno Fritsch, München 1986, S. 435-452.
Hayek, Friedrich August von - Die Theorie komplexer Phänomene, in: Die Anmaßung von Wissen. Neue Freiburger Studien, Tübingen 1996, S. 281 - 306.
Wrobel, Ralph Michael - Die Bedeutung der Komplexität ökonomischer Strukturen für die Wahl wirtschaftspolitischer Strategien, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 2001/2, S. 217 – 249.
Konstitutioneller Wissensmangel
Aus der Komplexität ökonomischer Systeme resultiert die Frage, von welchem Wissen der Akteure in einem ökonomischen Modell und von welchen eigenen Wissensmöglichkeiten des Wissenschaftlers ausgegangen werden kann. Legt man das neoklassische Modell der vollkommenen Konkurrenz zugrunde, wird das Wissen bezüglich realtypischer Markthandlungen mit einem Idealtypus verglichen. Dieser besteht aus einer kostenfreien, vollkommenen Information sowohl der Marktteilnehmer als auch des Beobachters. Auch in komplizierteren Modellen bleibt die Position eines umfassend informierten Beobachters bestehen. Eine solch paradoxe Sichtweise der Wissensverteilung kann kaum Basis einer brauchbaren ökonomischen Theorie sein, noch weniger Basis praktischer Wirtschaftspolitik.
Die Komplexität ökonomischer und anderer gesellschaftlicher Systeme macht hingegen eine subjektive Sichtweise des Wissensproblems notwendig. Subjektivismus meint, die verfügbaren Marktinformationen als interpretationsbedürftig zu betrachten. Informationen müssen erst durch eine subjektive - eventuell sogar kreative - Erkenntnisleistung verarbeitet werden. Da ein Beobachter zudem niemals in der Lage ist, alle Interpretationen einer Situation durch die beteiligten Akteure zu kennen, kann er aus einer allen Akteuren zugänglichen Information noch weniger Handlungsmöglichkeiten erschließen als diese. Berücksichtigt man zudem die Nicht-Vorhersehbarkeit von Innovationen, die Veränderung von Präferenzen sowie das Problem des Güterraumwandels, ist verständlich, warum auch die Beobachterposition unter einen Wissensvorbehalt zu stellen ist.
Friedrich August von Hayek hat bereits früh die Notwendigkeit einer deutlichen Trennung zwischen der Akteurs- und der Beobachterebene erkannt. Seiner Auffassung nach kann die Gesamtheit von Informationen in einer Gesellschaft niemals einem Einzelnen gegeben sein. Die Kenntnisse in einer Gesellschaft sind immer nur zerstreute Stücke unvollkommener und widersprüchlicher Kenntnisse, die niemals zusammen gefasst werden können. „Die Summe des Wissens aller Einzelnen existiert nirgends als integriertes Ganzes.“ (Hayek) Wird hingegen bei der Erörterung gesellschaftlicher Probleme vollkommenes Wissen der Akteure unterstellt, handelt es sich nur um logische Vorübungen. Diese führen aber zu keiner Erklärung der realen Welt. Das Wissen der Menschheit ist von Vollkommenheit weit entfernt. Die Bewältigung des Wissensmangels der Akteure geschieht durch den „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ (Hayek). Ein solches Modell erlaubt eine Beobachterposition einzunehmen, ohne eine vollkommene Information des Beobachters über das Ziel eines Marktprozesses vorauszusetzen.
Quellen / Literatur:
Hayek, Friedrich August von - Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, Zürich 1952.
Hayek, Friedrich August von - Die verhängnisvolle Anmaßung: Die Irrtümer des Sozialismus, Tübingen 1996.
Wrobel, Ralph Michael - Die Bedeutung der Komplexität ökonomischer Strukturen für die Wahl wirtschaftspolitischer Strategien, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 2001/2, S. 217 – 249.
Mustererkennung und Ordnungsrahmen
Grundlegender Betrachtungsgegenstand bei komplexen Phänomenen sind sich wiederholende Muster, also eine sich wiederholende Ordnung in den Geschehnissen. Eine Theorie komplexer Phänomene definiert dann immer nur eine Art oder Klasse von Mustern, wobei die individuelle Ausprägung des Musters von den individuellen Umständen, d.h. den Anfangs- oder Randbedingungen abhängt. Im Gegensatz dazu stehen die Theorien einfacher Phänomene, z.B. in der Physik, wo ein exakt beschreibbares individuelles Ereignis vorausgesagt werden soll. Die Aussage, dass unter bestimmten Umständen das Muster einer bestimmten Art erscheinen wird, im Gegensatz zur Voraussage über das Auftreten eines individuellen Erscheinungsfalles aus dieser Art, ist aber sowohl in der Naturwissenschaft als auch in der Gesellschaftswissenschaft bekannt.
Das Problem stellt sich demnach grundlegend wie folgt dar: Wie können erfahrungswissenschaftliche Theorien, Erklärungen und Voraussagen über Ereignisse im Rahmen komplexer Phänomene entwickelt werden, die zum einen nicht auf die Kenntnis von Fakten angewiesen sind, die dem beobachtenden Ökonomen sowie dem Wirtschaftspolitiker grundsätzlich nicht zur Verfügung stehen, andererseits aber die wesentlichen kausalen Beziehungen mitberücksichtigen. Diese Überlegungen beruhen auf folgendem Grundgedanken: Bei komplexen Phänomenen kann nach abstrakten Zügen gesucht werden, die insoweit invariant sind, dass sie nicht von einer vollen Spezifizierung aller relevanter Faktoren abhängen, sondern nur von weiter gefassten, abstrakten Merkmalen der entscheidenden Faktoren. Eine Theorie sollte deshalb nicht auf eine Erklärung oder Voraussage ausgerichtet werden, die so spezifisch oder konkret ist, dass für sie ein unerreichbares Maß an Wissen über singuläre Umstände notwendig wäre. Stattdessen sollte eine Theorie im Rahmen komplexer Phänomene weniger spezifische Aussagen machen, um auch ohne dieses unerreichbare Wissen auszukommen. Solche Erklärungen oder Voraussagen nennt man auch „Erklärungen des Prinzips“ bzw. „Mustervoraussagen“ (Hayek).
Die Voraussage, dass unter genau umrissenen Umständen das Muster einer bestimmten Art erscheint, ist zudem eine falsifizierbare und empirische Aussage im Sinne Poppers. Demnach ist also auch eine Theorie, die nur Mustervoraussagen erlaubt, aber keine individuellen Ereignisse prognostizieren kann, wissenschaftlich von Bedeutung. Natürlich ist ihr empirischer Gehalt geringer, weil sie lediglich erlaubt, bestimmte allgemeine Entwicklungen einer Situation vorherzusagen oder zu erklären, die mit einer Vielzahl individueller Ausprägungen des jeweiligen Musters vereinbar sind. Der geringere Grad der Falsifizierbarkeit ist aber ein notwendiger Preis, der bezahlt werden muss, wenn man in den Bereich komplexer Phänomene eindringen will.
Hayek macht deutlich, dass die Voraussagen über die Herausbildung einer allgemeinen Musterart auf sehr allgemeinen Annahmen beruhen, die den Bereich der Variablen, nicht jedoch ihre konkreten Werte determinieren. Die Voraussage einer bestimmten Art von Muster ist jedoch nicht von der Kenntnis spezieller Umstände abhängig, die bekannt sein müssten, wenn man z.B. Preise und Mengen bestimmter Güter vorhersagen sollte. Die Voraussage eines Musters ist trotzdem überprüfbar und nützlich. Wenn eine Theorie vorliegt, welche die allgemeinen Bedingungen beschreibt, unter denen sich ein bestimmtes Muster bildet, können diese Bedingungen geschaffen werden. Außerdem ist es dann möglich zu beobachten, ob ein Muster der vorausgesagten Art auftritt.
In der Wirtschaftspolitik können Erklärungen des Prinzips und Mustervorhersagen einen erheblich höheren Wert haben, als die exakten mathematisch-logischen Modelle der neoklassischen Analyse. Beispielsweise ist die Transformation eines zentral verwalteten Wirtschaftssystems in eine Marktwirtschaft möglich, indem lediglich im Bereich der Ordnungspolitik ein Rahmen für das marktwirtschaftliche Muster geschaffen wird. Wie dieses marktwirtschaftliche System allerdings konkret aussehen wird, ist offen und kann nicht prognostiziert werden. Hayek beschreibt diesen Zusammenhang in einem sehr plastischen Vergleich aus der Mineralogie:
„Wir können nie durch bewußte Anordnung der einzelnen Moleküle einen Kristall aufbauen. Aber wir können die Voraussetzungen schaffen, unter denen sich der Kristall bilden wird. Wir machen zu diesem Zweck Gebrauch von uns bekannten Kräften, aber wir können nicht die Lage eines einzelnen Moleküls im Kristall oder auch nur die Größe und Lage verschiedener Kristalle vorausbestimmen.“
Genau dasselbe gilt auch für die Wirtschaftspolitik. Die wirtschaftspolitischen Gestalter müssen sich von der Vorstellung befreien, durch bewusste Gestaltung konkrete Ergebnisse herbeiführen zu können. In einer komplexen Gesellschaft ist eine direkte, auf dem Prinzip Regulierung basierende, Wirtschaftspolitik kaum möglich, ebenso wie konkrete Ausprägungen von Mustern kaum prognostizierbar sind. Durch eine indirekte wirtschaftspolitische Steuerung - Ordnungspolitik - kann jedoch zur Etablierung bestimmter wirtschaftspolitischer Muster beigetragen werden.
Quellen / Literatur:
Graf, H.-G. – „Muster-Voraussagen“ und „Erklärungen des Prinzips“ bei F.A. von Hayek, Tübingen 1978.
Hayek, Friedrich August von - Die Theorie komplexer Phänomene, in: Die Anmaßung von Wissen. Neue Freiburger Studien, Tübingen 1996, S. 281 - 306.
Wrobel, Ralph Michael - Die Bedeutung der Komplexität ökonomischer Strukturen für die Wahl wirtschaftspolitischer Strategien, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 2001/2, S. 217 – 249.
Prinzipien einer Wettbewerbsordnung

Quelle: A. Schüller / H.G. Krüsselberg - Grundbegriffe zur Ordnungstheorie und Politischen Ökonomik, Marburg 1991.
Der Ordoliberale Walter Eucken schuf in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen neuen Entwurf für eine menschenwürdige „Wettbewerbsordnung“. In seinen „Grundsätzen der Wirtschaftspolitik“ (posthum 1952 erschienen) identifiziert er die steuernden Prinzipien dieser Wettbewerbsordnung. Insbesondere benennt er sieben konstituierende und vier regulierende Prinzipien. Außerdem weist er auf die unbedingte Zusammengehörigkeit dieser Prinzipien, die „Interdependenz der Ordnungen“, hin.
Das Grundprinzip der Wettbewerbsordnung ist nach Eucken ein funktionierendes Preissystem. Danach sind zunächst verschiedene wirtschaftspolitische Maßnahmen zu vermieden, z.B. staatliche Subventionen, Herstellung staatlicher Zwangsmonopole, allgemeiner Preisstopps, Einfuhrverbote usw. Darüber hinausgehend fordert Eucken eine aktive Ordnungspolitik, die darauf abzielt, eine Marktform, welche dem Idealtyp der vollständigen Konkurrenz möglichst nahe kommt, zu etablieren. Denn nur wenn sich frei bildende Preise Angebot und Nachfrage widerspiegeln, kann das Lenkungsproblem in einer Marktwirtschaft zufrieden stellend gelöst werden. Mit diesem Grundprinzip schloss Eucken viele typische Kennzeichen der früheren deutschen Wirtschaftspolitik aus, wie z.B. Preiskontrollen, Förderung von Monopol- und Kartellbildung in verschiedenen Industriezweigen, Steuerpolitik zu Gunsten großer wirtschaftlicher Einheiten oder die Zuteilung ausländischer Währung.
Damit das Preissystem funktioniert, ist Währungsstabilität notwendig. Aus diesem Grund hat Ecken von einem Primat der Währungspolitik gesprochen. Ohne Währungsstabilität verlieren die Preise ihre Signalfunktion für die veränderten Bedingungen von Angebot und Nachfrage. Dieses Prinzip basiert auf den Erfahrungen aus der großen Inflation von 1923 sowie der versteckten Inflation zu nationalsozialistischen Zeiten.
Auch Offene Märkte sind eine Grundbedingung für funktionierenden Wettbewerb, denn er verhindert die Bildung von Monopolen und stabilisiert die Wettbewerbsordnung. Eucken fordert Offenheit sowohl in äußerer als auch in innerer
Hinsicht. Sowohl der Wettbewerb auf innerdeutschen Märkten als auch Freihandel mit dem Ausland sind gleichmäßig bedeutsam. Entsprechen erachtet Eucken eine aktive Wirtschaftspolitik, welche freien Außenhandel und nationale Wettbewerbspolitik fördert, als notwendig.
Privateigentum ist aus mehreren Gründen in der Wettbewerbsordnung von Bedeutung: Zum einen stellt Privateigentum einen Anreiz dar, effizient zu wirtschaften. Des weiteren stellt Privateigentum Verfügungsmacht und Verfügungsfreiheit im Rahmen einer Volkswirtschaft dar. Damit garantiert das Privateigentum wirtschaftliche Unabhängigkeit der Marktakteure. Andererseits beinhaltet das Privateigentum auch die Ohmacht, die Verfügungsmacht und Freiheit anderer Eigentümer zu Lasten der Gemeinheit einzuschränken. Ebenso wie das Privateigentum ist auch die Vertragsfreiheit als Vorbedingung für den Wettbewerb zu verstehen: die Marktakteure müssen über die Freiheit verfügen, Marktkontrakte ohne äußerliche Beschränkung abschließen zu dürfen. Allerdings ist die Vertragsfreiheit gemäß ordoliberalen Denken beschränkt. So darf sie nicht zur Beeinträchtigung oder Beseitigung der Wettbewerbsordnung missbraucht werden. Außerdem legt Eucken großen Wert auf das Haftungsprinzip. Nur Marktakteure, die für ihre Verträge auch haftbar gemacht werden können, werden verantwortlich handeln. So kritisiert Eucken deutlich den häufigen Haftungsausschluss, z.B. durch die bei Verträgen angewandten Klauseln zur beschränkten Haftung. Im Gesellschaftsrecht seien Haftungsausschlüsse nur dort zulässig, wo sie auch mit eingeschränktem Entscheidungsspielraum der Betroffenen verbunden seien, z.B. beim Kommanditisten einer KG oder einem Kleinaktionär.
Abschließend betont Eucken die Bedeutung der Konstanz der Wirtschaftspolitik. Sie schafft ein Vertrauen in die bestehenden wirtschaftspolitischen Verhältnisse und garantiert damit einen langfristigen Planungshorizont für die im Wettbewerb stehenden Unternehmen. Die Forderung nach einer gewissen Beständigkeit in der Wirtschaftspolitik entwickelte sich aus der Erfahrung der Politik wirtschaftlicher Experimente, die viele europäische Regierungen während der Zwischenkriegszeit verfolgten. Gerade in dieser Zeit wurde durch häufiges Intervenieren des Staates in den Wirtschaftsprozess eine beständige Wirtschaftsentwicklung unmöglich gemacht. All diese Grundprinzipien der Marktwirtschaft sind laut Eucken nicht nur wichtig, sondern auch voneinander abhängig. Dies nennt Eucken auch die Interdependenz der Ordnung.
Neben den konstituierenden Prinzipien der Marktwirtschaft hat Walter Eucken auch vier regulierende Prinzipien herausgestellt, welche nach Errichtung einer Wettbewerbsordnung beachtet werden müssen, um deren Bestand zu gewährleisten. Das wichtigste regulierende Prinzip ist die Wettbewerbspolitik, um dem Monopolproblementgegenzuwirken. Anstelle Monopole und ihren Machtmissbrauch zu steuern, bevorzugt Eucken die Verhinderung der Entstehung von Monopolen. Dies soll durch eine konsequente Wettbewerbspolitik und durchgehende Anwendung der konstituierenden Ordnungsprinzipien der Marktwirtschaft geschehen. Drei zusätzliche regulierende Prinzipien beziehen sich auf besondere Bereiche, in denen die Möglichkeit des Marktversagens existiert. Einkommenspolitik soll nur in beschränktem Rahmen stattfinden und allen Menschen einen minimalen Lebensstandard garantieren. Hingegen sei die Einkommensverteilung im Wesentlichen durch den Markt zu koordinieren. Externe Effekte seien in „exakt feststellbaren Fällen“ durch staatliche Eingriffe zu internalisieren. Sollte es zudem zu einem anomales Verhalten des Angebots auf dem Arbeitsmarkt kommen, sei auch hier ein staatlicher Eingriff nötig, die in die Praxis umgesetzte Wettbewerbsordnung würde das Problem aber bereits abschwächen bzw. lösen. Während die regulierenden Prinzipien auf den ersten Blick den Zugang für staatliche Interventionen in den Marktprozess öffnen, legt Eucken in Wirklichkeit besonderen Wert auf die strikte Anwendung der konstituierenden Ordnungsprinzipien der Marktwirtschaft. Die meisten der angeführten Probleme würden gelöst, so z.B. das Monopolproblem durch offene Märkte, das Problem der externen Effekte durch Haftungsbestimmungen, das einkommenspolitische Problem durch die Zunahme des verteilbaren Sozialprodukts in einer Marktwirtschaft. Der Notwendigkeit staatlicher Interventionen habe sich bei konsequenter Durchsetzung der konstituierenden Prinzipien Einmischung somit erübrigt.
Diese Prinzipien der Ordnungspolitik sind eng mit der wirtschaftspolitischen Debatte der zwanziger bis vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts verbunden, die Eucken das „Zeitalter der Experimente“ nannte. Das ältere Modell des liberalen Staats wurde spätestens nach dem ersten Weltkrieg von einer Wirtschaftsform abgelöst, in denen Interventionen des Staates eine ständig größere Rolle einnahmen. Die sozialistische Zentralverwaltungswirtschaft postulierte sogar das Gegenmodell einer völlig staatskontrollierten Wirtschaft. Nach dem zweiten Weltkrieg veranlasste die Notwendigkeit eines ordnungspolitischen Neubeginns Eucken zur Formulierung seiner konstituierenden und regulierenden Prinzipien der Wirtschaftspolitik. Diese sind aber nicht rein zeitgebunden zu sehen, sondern heute noch genauso gültig wie vor über fünfzig Jahren. Wenn auch einige Prinzipien in der aktuellen ordnungspolitischen Debatte weniger wichtig erscheinen, weil sie weithin verwirklicht wurden (wie z.B. das Prinzip der offenen Märkte oder das Problem der Monopolkontrolle), so sind sie trotzdem auch heute noch äußerst aktuell. Gerade auf dem Arbeitsmarkt und im Sozialsystem, wo Monopole und geschlossene Märkte durch staatliche Regulierung entstanden sind und bis heute heftig verteidigt werden, sind beide Prinzipien wertvoll für die aktuelle Reformdebatte.
Quellen / Literatur:
Eucken, Walter - Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 6. durchgesehene Auflage, Tübingen 1952/90, XVI. Kapitel: Die Politik der Wettbewerbsordnung – Die konstituierenden Prinzipien, S. 254–291 und XVII. Kapitel: Die Politik der Wettbewerbsordnung – Die regulierenden Prinzipien, S. 291-304.
Systemwettbewerb
Ordnungspolitik basiert zwar auf grundlegenden Prinzipien, das heißt aber nicht, dass schon alle Institutionen, die für eine erfolgreiche Marktwirtschaft notwendig sind, bekannt wären. Der ständige Wettbewerb durch Innovationen und Imitationen trifft nicht nur für Güter-, Dienstleistungs- und Faktormärkte zu, sondern auch für Institutionen selber, die solche Märkte ordnen. Auch institutionelle Arrangements oder Systeme stehen im Wettbewerb zueinander, wobei es Parallelen, aber auch Unterschiede zum Wettbewerb im Gütermarkt gibt. Beim Systemwettbewerb konkurrieren immobile Produktionsfaktoren (Arbeit) um die mobilen Produktionsfaktoren (Kapital). Es gibt einen Markt mit Anbietern und Nachfragern von Institutionen, dessen Analyse im Mittelpunkt der Theorie des Systemwettbewerbs (Institutionen-Wettbewerbs) steht.
Theoretische Grundlagen
Die zahlreichen in den letzten Jahren erschienen Artikel über Systemwettbewerb finden ihren Grund nicht nur in den aktuellen politischen Entwicklungen, sondern auch in einem Theoriedefizit der neoklassischen Modelle: der völligen Abstraktion von Rahmenbedingungen und Institutionen beim Erreichen der allokativen Effizienz. Wenn Güter homogen sind, Zeit, Raum und Institutionen nicht existieren und Information vollkommen ist, ist das Erreichen des Pareto-Optimums eine Rechenaufgabe, und Wettbewerb wird zur „verschwenderischen Methode“ (Hayek). Auch die Analyse von Monopolen und Oligopolen und besonders deren Regulierung geht im neoklassischen Ansatz von voller Information, zumindest für den wohlwollenden, die Gesamtwohlfahrt erhöhenden Regulator aus.
Dieser „nirwana-approach“ (Demsetz) wird nicht nur in der amerikanischen Literatur seit den 70er Jahren kritisiert, sondern bereits von den Freiburger Ordoliberalen und insbesondere von Friederich August von Hayek gesehen. Walter Eucken etwa untersucht Anreizstrukturen in verschiedenen institutionellen Regimen und leitet daraus Empfehlungen für deren Design ab. Der Schwerpunkt dieser Analysen ist aber das Handeln in Institutionen, nicht die Wahl der Institutionen. Als A. Downs das Wettbewerbsmodell auf den politischen Markt überträgt und J. Buchanan sowie G. Tullock die Allokationswirkung von Wahlsystemen untersuchen, entsteht als neuer Zweig der Volkswirtschaftslehre die konstitutionelle Ökonomik. Deren explizites Ziel ist die Wahl der Regeln (choice of rules) im Gegensatz zur Wahl in Regeln (choice within rules) (Buchanan).
Abwanderung und Widerspruch
Hier setzt die moderne Theorie des Systemwettbewerbs an: Die Besonderheit ist dabei, daß im institutionellen Wettbewerb die Anbieter von Politik („politische Unternehmer“, d.h. insbesondere Politiker, aber auch Lobbyisten und Verfassungsrichter) gleichzeitig die Gestalter der eigenen Regeln sind. Es geht um die Endogenisierung der Institutionen in der ökonomischen Theorie. Beim Systemwettbewerb stehen verschiedene (z.B. Krankenversicherungs-, Steuer-, Handels- oder Gesellschafts-) Systeme im Wettbewerb zueinander. Die am häufigsten diskutierte Form ist die Konkurrenz der immobilen um die mobilen Faktoren der Produktion. Firmen wechseln zum Beispiel ihren Standort, um institutionellen Rigiditäten zu entgehen. Der Wettbewerb um ausländische Direktinvestitionen ist global und führt zur Standortdebatte und besonders in Grenzregionen entsteht Wettbewerb um Konsumenten. In allen Fällen nutzen die Nachfrager von Institutionen (Investoren, Konsumenten, Steuerzahler) die Arbitrage aus deren unterschiedlichem Design, um ökonomische Vorteile zu erzielen. Auch der Import von Gütern ist gleichzeitig als Auswahl derjenigen Institutionen zu verstehen, unter denen das importierte Gut produziert wurde.
Wie wirken sich solche Arbitrageprozesse auf das Angebot von Institutionen aus? Während beim Wettbewerb in Märkten Anbieter direkt (pekuniär) die Folgen des Wechsels der Nachfrager zu einem anderen Anbieter spüren, gilt dies für die Anbieter von Institutionen nicht. Politiker haben als Eigennutzmaximierer ein Interesse an ihrer Wiederwahl (Wiederwahlrestriktion). Sie bieten also dann ein verändertes Angebot an Institutionen an, wenn sie ihre Wiederwahl durch institutionelle Arbitrage gefährdet sehen. Diese Restriktion ist vermutlich nicht so stark wie eine Marktreaktion auf Gütermärkten, da die Wahl in großen zeitlichen Abständen stattfindet und die Wahlentscheidung meistens von einem Bündel aus vielen Argumenten abhängt. Bürokraten (Beamte) als Anbieter institutioneller Arrangements unterliegen nur der allgemeinen Kontrolle durch Gesetze, dort ist die Reaktion auf Arbitrage vermutlich noch geringer.

Abwanderung (exit) und Widerspruch (voice) im Systemwettbewerb
Für Politiker kann Handeln im Systemwettbewerb aus zwei Gründen nötig werden: Erstens führt z.B. die Abwanderung von Kapital (exit) direkt zu weniger Steuereinnahmen und damit einem geringeren politischen Spielraum. Zweitens kann es zu politischem Druck (voice) von Betroffenen kommen, z.B. von Arbeitslosen oder nicht-wettbewerbsfähigen Industrien. Auf diesen Druck kann der Politiker, sofern er seine Wiederwahl gefährdet sieht, auf zwei Arten reagieren: Wie auf den Gütermärkten kann er neue Institutionen einführen (Innovation) oder erfolgreiche Institutionen imitieren.
Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, daß Systemwettbewerb einen Anreiz zur Innovation enthält und somit als Entdeckungsverfahren funktioniert (Hayek). Zweitens begrenzt er die Macht der Politiker, beliebige Institutionen einzuführen und wird damit zum Kontrollverfahren. Systemwettbewerb ermöglicht dem Politiker aber auch, Alternativen zum eigenen System zu erkennen (institutionelles Lernen). Dabei ist es kostengünstiger, neue Institutionen, die scheitern oder Erfolg haben können, erst in einem Land auszuprobieren, als sie für mehrere Länder, z.B. im Rahmen der Europäischen Union, zu harmonisieren. Die Falsifizierung von institutionellen Systemen ist somit im Systemwettbewerb weniger teuer und flexibler.
Strategien im Systemwettbewerb
Eine institutionelle Imitation ist z.B. die Einführung von Marktwirtschaften in Osteuropa oder die Verankerung einer unabhängigen Zentralbank in vielen europäischen Ländern nach dem Vorbild der Bundesbank. Eine institutionelle Innovation war z.B. die Einführung der Sozialversicherung als Antwort auf die soziale Frage durch Bismarck; generell gilt, dass Anzahl und Art der institutionellen Innovationen ex ante nicht bekannt sind. Grundsätzlich sind Politiker als Anbieter eingeschränkt durch institutionelle Traditionen und die Durchsetzbarkeit neuer Institutionen im politischen Prozess. Ihre Reaktionen im Systemwettbewerb werden deshalb voraussichtlich langsamer erfolgen können als die eines Unternehmers im Wettbewerb in Gütermärkten; kleinere, schrittweise Änderungen sind wahrscheinlicher, mit der Ausnahme eines radikalen Systemwechsels dann, wenn das institutionelle System vor dem Kollaps steht (z.B. Zusammenbruch der sozialistischen Staaten). Innovationen und Imitationen können wiederum in zwei verschiedenen Arten auftreten:
- Einmal kann der Politiker versuchen, die institutionellen Bedingungen so zu verändern, dass für das eigene System ein Wettbewerbsvorteil entsteht. Im Wettbewerb der Steuersysteme kann etwa eine Steuersenkung zum Rückfluss von Anlagekapital führen. Eine glaubwürdige und stabilitätsorientierte Politik (vom reinen Standortmarketing bis hin zu tatsächlichen Änderungen) kann zu mehr Investitionen führen. Ökonomisch entspricht dies dem Leistungswettbewerb im Austauschprozess zwischen Anbietern und Nachfragern, d.h. die Einwirkung auf die Konkurrenz erfolgt über eine Leistungsverbesserung.
- Andererseits kann der Politiker auch versuchen, den Systemwettbewerb zu beschränken, um seiner kontrollierenden Wirkung zu entgehen. Beispielsweise kann er Kapitalverkehrskontrollen, Handelshemmnisse oder Ausreiseverbote erlassen. Ökonomisch entspricht dies dem Behinderungswettbewerb im Parallelprozess, d.h. andere Anbieter werden im Absatz ihres Angebots behindert.
Systemwettbewerb existiert also wie Wettbewerb auf Märkten, allerdings sind hier Elemente des ökonomischen Wettbewerbs (Ausnutzung der Erträge unterschiedlicher Institutionen durch die Nachfrager) mit denen des politischen Wettbewerbs (Angebot durch Politiker mit Wiederwahlrestriktion) vermischt. Systemwettbewerb nimmt eine „Entdeckungsfunktion“ und eine „Kontrollfunktion“ wahr.
Wettbewerbsordnung versus Harmonisierungskartell
Wenn Systemwettbewerb analog zu Wettbewerb auf Märkten funktioniert, stellt sich die Frage, ob hier auch dieselben Wettbewerbsprobleme auftreten können: Braucht Systemwettbewerb eine Wettbewerbsordnung, kann es zu Wettbewerbsversagen kommen? Kritiker befürchten, dass Systemwettbewerb nicht etwa dazu führt, dass durch neue Institutionen besser auf die unterschiedlichen Präferenzen der Nachfrager eingegangen wird, sondern im Gegenteil der Systemwettbewerb einen Zwang zu suboptimalen Regelungen beinhaltet. Im Wettbewerb der Steuersysteme etwa kommt es durch unterschiedliche Steuersätze zu Kapitalabwanderung. Ein Land wird deshalb zum Handeln gezwungen und senkt seine Steuern. Daraufhin zieht das Ausland nach, das durch die (Rück-) Wanderung des Kapitals ebenfalls zum Handeln gezwungen wird. Am Ende dieses „race to the bottom“ (Sinn u.a.) ist die Steuer auf Kapital ganz verschwunden (sogenannte zero level regulation); die Präferenzen der Bürger etwa für öffentliche, steuerfinanzierte Güter könnten nicht mehr berücksichtigt werden. In diesem Fall wird die Einschränkung von Systemwettbewerb z.B. durch protektionistische Maßnahmen oder durch ein Harmonisierungskartell gefordert.
Diese Kritik am Systemwettbewerb ist aber nicht haltbar, wenn man nicht von einem rein mechanischen Funktionieren der Wirtschaft ausgeht: Weder Politiker noch Nachfrager reagieren in der Realität wie in diesem Modell. Da jede Steuersenkung den Spielraum für Ausgaben senkt, führt die notwendige Ausgabensenkung ihrerseits zu „voice“, politischem Druck, und Steuersenkungen können nicht beliebig fortgesetzt werden. Auch das Kapital reagiert nicht vollständig, sondern Steuersätze sind nur ein Parameter im Wettbewerb um Kapital. Die Analyse von Systemwettbewerbsversagen basiert also auf ceteris-paribus-Annahmen, während in der realen Welt zwar Steuerwettbewerb mit Steuersenkungen vorkommt, aber kein Verschwinden von Regulierungen überhaupt. Eichengreen zeigt am Beispiel Amerikas, dass auch in schon lange bestehenden Föderationen große Steuerunterschiede bestehen können. Dies dürfte in Europa mit seinen weitaus weniger integrierten Faktormärkten und den historisch und kulturell bedingten großen Präferenzunterschieden viel mehr der Fall sein.
Wie in der ökonomischen Wettbewerbstheorie stellt sich die Frage, ob man der positiven Analyse von Systemwettbewerb auch eine normative Theorie gegenüberstellen kann. Politiker können - wie oben gezeigt - versuchen, zur Vermeidung der Kontrollfunktion den Systemwettbewerb durch Protektionismus oder Kartellbildung („Harmonisierung von institutionellen Regelungen“) einzuschränken. Wenn man also Systemwettbewerb wegen der Funktionen, die er erfüllt, will, muss man über eine Wettbewerbsordnung nachdenken, die Systemwettbewerb ermöglicht. Geeignete Kategorien dazu liefert das Leitbild der Wettbewerbsfreiheit nach Erich Hoppmann. Wettbewerbsfreiheit ist gegeben, wenn Freiheit im Parallelprozess (innerhalb einer Marktseite, z.B. der Anbieter) sowie im Austauschprozess (zwischen beiden Marktseiten) gegeben ist. Beim Systemwettbewerb heißt das, dass Politiker ohne Kartellabsprachen Institutionen anbieten, die die Bürger frei von Protektionismus wählen können. Für den Nachfrager muss also Freizügigkeit (von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Arbeit) bestehen. Auf der Angebotsseite dürfte Harmonisierung allenfalls im eng umgrenzten Fall grenzüberschreitender externer Effekte, z.B. bei grenzüberschreitender Umweltverschmutzung, erfolgen. Wichtig ist aber auch dann die Offenhaltung der Entwicklung der Institutionen, d.h. die Reversibilität der institutionellen Regelungen. Ein „institutionelles Optimum“ wird es nie geben, da wechselnde Präferenzen und Innovationen das institutionelle Gefüge stets verändern.
Wegen der Tendenz zur Wettbewerbsbeschränkung und der Annahme eigennutzorientierter politischer Unternehmer muss die Wettbewerbsfreiheit überwacht werden von einer „neutralen“ Instanz, einer Kartellbehörde. Gerade hier liegt ein großer Unterschied zwischen dem Wettbewerb in Märkten und Systemwettbewerb. Während ersterer von ökonomischen Agenten ausgetragen wird und von unbeteiligten, ökonomisch nicht interessierten Richtern und Kartellämtern kontrolliert wird, geht dies im politischen Wettbewerb nicht. Systemwettbewerb findet nämlich nicht nur horizontal (im Parallelprozess) statt, sondern auch vertikal (zwischen verschiedenen politischen Ebenen, z.B. Gemeinden, Ländern, Staaten und suprastaatlichen Organisationen). Die Tendenz zur Aufgabenzentralisierung durch höhere politische Ebenen lässt sich empirisch in allen föderalen Gebilden beobachten. Systemwettbewerb zwischen Staaten und suprastaatlichen Organisationen (z.B. der europäischen Staaten und der EU) müsste also auf einer höheren, uninteressierten Ebene kontrolliert werden. Forderungen nach einer „Weltordnungspolitik“ (z.B. Giersch) oder einem Kartellamt für den Systemwettbewerb zwischen Staaten sind aber illusorisch. Sie setzen letztlich voraus, dass das genannt Gremium von wohlwollenden „Aliens“ gebildet wird, die dann nicht mehr als Vertreter von Nationalstaaten oder suprastaatlichen Verwaltungen etc. handeln. Zudem müssten vorher alle beteiligten politischen Ebenen ihre Zustimmung zu einem solchen „Alien-Kartellamt“ geben. Da ein solches Kartellamt aber eine Verstärkung der Kontrollfunktion des Systemwettbewerbs bedeutet, werden ihm die politischen Unternehmer nicht zustimmen. Systemwettbewerb lässt sich also nicht wie Wettbewerb in Märkten mit Hilfe eines Kartellamtes als freier Leistungswettbewerb gestalten. Stattdessen bietet die Föderalismusdebatte eine andere, allerdings viel schwächere Lösung an: Ein System von checks-and-balances, bei dem sich die höhere und die jeweils niedrigere Ebene gegenseitig kontrollieren.
Quellen / Literatur:
Buchanan, J. ; Tullock, G. - The Calculus of Consent: Logical Foundations of Constitutional Democracy, Ann Arbor 1962.
Demsetz, H. - Information and Efficiency: Another Viewpoint, in: Journal of Law and Economics, 12 (1969), S. 1-22.
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